Die Stadt der Zukunft wird multifunktional sein

21. September 2022 – Die Stadt der Zukunft wird multifunktional sein – Future Cities im RITZ Friedrichshafen

 

Der Maßstab für Veränderungen in Innenstädten  muss der Mensch mit seinen Bedürfnissen sein

Die Marketing Community Bodensee hatte ins Ritz im Fallenbrunnen eingeladen, um mit Experten über das Thema „Future Cities“ zu sprechen. Das Interesse war groß, der Vortragsraum reichlich mit Gästen besetzt. Dipl.-Geograf Christian Hörmann von der CIMA Beratung + Management GmbH begeisterte mit seinem kurzweiligen Impulsvortrag. Der Mensch sei der Maßstab bei allen Überlegungen und Planungen, denn er sei es, der wieder mehr in die Städte kommen soll, betonte er.

Nach Corona sei die große Frage gewesen „kommen die Leute überhaupt wieder in die Stadt?“ Die Antwort war „ja“. Denn sie hätten gemerkt, dass sie soziale Wesen sind. Das echte Treffen stehe im Vordergrund, aber der Anspruch an „die Stadt“ sei gestiegen. „Ich setze mich für lebenswerte, nachhaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Städte und Gemeinden ein. Diesen Dreiklang Soziales, Ökologie und Ökonomie – müssen wir sehr leidenschaftlich diskutieren“, sagte Hörmann. In der Stadtentwicklung drifte die ökonomische Frage zunehmend ab – manchmal habe er den Eindruck, man dürfe gar nicht darüber sprechen, dass man in der Zukunft in der Innenstadt auch wirtschaftlich erfolgreich sein wolle und könne. Dabei funktioniere Innenstadt nur, wenn alle drei Punkte gleichermaßen bewertet werden.

Er empfehle vor allem in der Krise die Nachrichtenflut, die täglich überfordere, einfach mal auszuschalten, durchzuatmen, um sinnvoll nachzudenken. Tatsache sei, dass alle die Folgen der energiegetriebenen zweistelligen Inflation spüren. „Wir in Deutschland speziell – denn die Deutschen sind angstgetrieben und geben, wenn sie Angst haben kein Geld mehr aus.“

Wenn man sich schon darüber Gedanken mache, wie sich Menschen verhalten, sei es ratsam diese auch zu befragen, „denn wenn wir von einer Innenstadt sprechen, geht es um eine Customer-Journey.“ Diese beginne zu Hause auf dem Sofa, beispielsweise mit dem i-Pad, hier entstehen Bedürfnisse, das werde oft verkannt. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Leute hier schon abholen, müssen doppelt denken – sowohl online als auch im physischen Bereich.“

Die Innenstadtfrequenz habe inzwischen wieder angezogen – was nicht gleichzeitig bedeute, dass die Leute automatisch konsumieren. Manche Städte am See hätten die Einstellung, so der Experte, dass mit den Menschen die Kaufkraft sowieso kommt. Ein Fehlschluss.  Es gehe um ein holistisches Verständnis dafür, was für Gäste – und Einheimische, komfortabel ist. Es sei extrem wichtig daran zu denken, dass die Einheimischen die Kernzielgruppe sind. Was sie sich wünschen, um in die Stadt zu kommen.

Viele Menschen – das gehe aus ihrer Befragung der neuen und repräsentativen CIMA-Innenstadt-Studie hervor – wünschen sich vor allem guten Service  beim Einkaufen. Dinge wie das Neun-Euro-Ticket hätten zudem gezeigt, was sich die  Leute in Sachen Mobilität wünschen: Unkompliziertheit. Keine Stadt in der Bodenseeregion sei eine Großstadt – alle Städte sind unter 100.000 Einwohner – es gebe also am Bodensee keinen öffentlichen Nahverkehr wie in Großstädten.  Im Ländlichen Raum sei der Weg in die City in der Regel mit dem Auto. Weil es einfach keine Alternativen gibt. Darüber müsse man sprechen. Ebenso wie über das Angebot der ÖPNV. Mobilitätsangebote wie Fuß- und Fahrradwege müssten verbessert werden, sowie das Parkplatzangebot.

Quartiere seien das Zauberwort – in diesen passiere inzwischen sehr viel. Wie auch am Beispiel Fallenbrunnen zu sehen sei: Hier war einmal eine Kaserne und jetzt geschehe Bildung, Unternehmertum, Wissenschaft und Gastronomie an diesem Ort. Die Studie habe ergeben, dass Menschen in der Innenstadt gute Einkaufsmöglichkeiten,  Sauberkeit – vor allem bei öffentlichen Toiletten, gepflegte Aufenthaltsqualität, Grünflächen, ein subjektives Sicherheitsgefühl und Barrierefreiheit erwarten. Eine Stadt benötige als Besuchsgrund Attraktivität in Handel, Gastronomie, Dienstleistung, öffentlichen Einrichtungen, Wohnen und Kultur. Der ökonomische Aspekt müsse immer miterzählt werden. Jetzt müsse man sich überlegen, wie man diesen erforderlichen Nutzungsmix in der Innenstadt so anpasse, dass es einfach Spaß auf allen Ebenen mache, in die Stadt zu kommen. Dann sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute wiederkehren, höher. Die Prognose dafür sei stark gesunken – allerdings sei sie in den Städten mit 20-50 Tausend Einwohnern deutlich höher als in Großstädten.

„Das ist doch wunderbar – denn das ist die Stadtgröße am Bodensee. Also müssen wir uns darum kümmern, dass sich die Menschen hier besonders wohlfühlen. Das ist eine Chance“, so Hörmann. Aktuell verändere sich alles sehr schnell  – Corona habe Prozesse und Anpassungsnotwendigkeiten vor allem des Unternehmertums in der Stadt beschleunigt. Große Flächen in der Innenstadt könne man kaum mehr vermieten – denn der Handel reduziert eher Flächen – die Überlegung das Wohnen wieder in die Innenstadt zu verlegen sei eine Strategie. Das wirksamste Instrument in Deutschland seit 50 Jahren, sei die Städtebauförderung. Ein eingesetzter Steuereuro löse acht Euro private Investition aus. Das alles könne man nur gemeinsam schaffen. Das Miteinander, um das es geht müsse unterstützt werden. Er spreche sich nicht für kommunale digitale Marktplätze aus – aber  er setze sich dafür ein, dass sich die Unternehmerschaft digitalisiert und dass Plattformen etabliert werden, auf denen sie sich vernetzen und sichtbar werden.

Es seien also Mischkonzepte notwendig, Multimobilität und das Wissen, dass die junge Generation kritischer konsumiere und Regionalität wichtiger werde. „Lasst uns nachdenken, was ein attraktives Mixed-Use -Quartier sein kann, wo alles stattfinden kann, von Bildung, Kultur, öffentlichen Einrichtungen, Gastronomie, Handel, Wohnen und Gewerbe bis hin zu Co-Working. Eine Zusammenarbeit aus Stadt, Eigentümern, Unternehmerschaft und Bürger*innen ist die Voraussetzung für erfolgreiche Städte“, sagte Hörmann und schloss mit den Worten: „Ich mache mir keine Sorgen, auch wenn es Krise gibt. Wenn wir gemeinsam Pläne machen, diese ernst nehmen und sie auch umsetzen, mit dem Hauptleitsatz „der Maßstab ist der Mensch“, werden Innenstädte wieder erfolgreich.“

Es folgte eine angeregte Diskussion zwischen Fragen wie „wo steht mein Geschäft heute?“, „welchen politischen Rahmen benötigen wir?“ und Aussagen wie  „ich glaube an den stationären Handel und ich glaube, dass er Zukunft hat. Denn der Kunde möchte Begegnung und er möchte Beratung vor Ort“ (Stefan Zimmer), „das Thema Wohnen wird in jeder Stadt fokussiert, denn der Handel braucht weniger Fläche. Aber baurechtliche oder brandschutztechnische Probleme bringen oft Schwierigkeiten, vor allem in historischen Stadtkernen, die den Prozess verlangsamen“,  (Bernhard Nattermann) oder „gerade für junge Menschen ist die Frage nach dem Arbeitsweg ein wichtiger Faktor für die Mobilität in den Innenstädten von morgen“ (Celina Herbers). Rolf Benzmann will von ihr wissen: „Wenn ich in der Zukunftsstadt Friedrichshafen unterwegs bin, wie wird Mobilität aussehen? Werde ich mich auf autonomes Fahren verlassen können?“ Celine Herbers antwortet, dass die Technologien durchaus da seien, wenn auch noch nicht voll ausgereift. Benzmanns sechsjährigem Sohn gebe sie aber gute Chancen, autonomes Fahren in der Zukunftsstadt nutzen zu können. Das Projekt ALFRIED beschäftige sich aktuell mit einem konkreten Anwendungsfall, nämlich dem innerstädtischen Lieferverkehr.

Benzmann bat jeden Podiumsteilnehmer darum, zum Schluss den Satz „Meine Vision für die Zukunftsstadt ist…“ zu vervollständigen. Christian Hörmann sagte das sei für ihn „die multifunktionale Stadt“, Stefan Zimmer „die Menschen sollen in der Stadt leben“, Bernhard Nattermann „die Begeisterung für die Stadt nach innen und nach außen zu lenken“, und Celine Herbers wünscht sich für die Stadt „zukunftsfähig zu sein.“

Auf dem Podium begrüßte Moderator Rolf Benzmann neben Christian Hörmann Stefan Zimmer, Inhaber des Kaufhauses Heka Friedrichshafen, Bernhard Nattermann, bei der IHK Bodensee- Oberschwaben Referent für Handel, Dienstleistung und Tourismus, Celina Herbers von der IWT – Wirtschaft und Technik GmbH. Sie ist Projektleiterin des BMDV-Projekts ALFRIED zu automatisiertem und vernetztem Fahren in der Logistik am Testfeld Friedrichshafen

 

Text: Susi Donner
Fotos: Susi Donner